Kolumne 43

„Nachts auf dem Balkon sitzend, die Füße überm Geländer...“

Für die nächsten zwei Wochen ist in meiner Wetter-App sonniges, regenloses Wetter angesagt. Das heißt bei mir: Wenn ich zuhause bin, bleibt die Küchentür, die direkt in den Garten führt, offen, und die Übergänge zwischen draußen und drinnen sind fließend. Solche Tage mag ich ganz besonders gern – zwischen Schreibtisch und Garten meine Stunden einzuteilen.

 

Im Garten betreibe ich zurzeit einen radikalen Rückschnitt von einigen Stauden, die über die letzten regenreichen Wochen gen Himmel geschossen sind. Prädestiniert für einen solch starken Rückschnitt, Ende Juli/Anfang August ist der Polygonum amplexicaule (Staudenknöterich).

 

 

Er hat die Angewohnheit nach starkem Regen auf den Boden zu platschen. Was zum einen nicht gewinnend aussieht, zum anderen Platz kostet. Hier wirkt der Rückschnitt wie eine Verjüngungskur. Innerhalb kürzester Zeit baut er sich wieder zur dichten, buschartigen Blattmasse auf. Der folgen dann erneut kerzenförmige scharlachrote Blütenrispen.

 

 

„Nehmen Sie das Leben in kleinen Dosen – schauen Sie nie weiter als bis zum Mittag- oder Abendessen.“

 

Ludwig Wittgenstein, 1889–1951, österreichischer Philosoph

 

 

Bei dem schönen Frauenmantel Alchemilla mollis ist ein Rückschnitt ebenso empfehlenswert und notwendig. Der Frauenmantel hat ein schönes lindgrünes Cape-artiges, rundliches Blatt und eine gelblich-grüne schleierartige Blüte. Seine Blütezeit ist Juni/Juli, und spätestens im August, also jetzt, sollte man ihn stark runterschneiden. Mein Hauptgrund dafür ist: Die Blätter werden ansonsten ledrig dunkelgrün und wirken dadurch nicht mehr so mild und frisch. Zudem motiviert man die Pflanze zur zweiten Blüte, die allerdings sehr viel zurückhaltender ausfällt als die erste.

 

 

In den frühen Morgenstunden sammeln sich in den Alchemilla Blatt-Capes Tau- und Wassertropfen. Sie glitzern wie kleine Rohdiamanten und erfreuen einen schon beim ersten Gang durch den Garten.

 

 

„Glücklicher Morgen: Wir in der Sonne

Unter uns Nebel, über uns Vögel

Zwei graue Reiher auf geradestem Wege

Im Gleichschlag die Flügel

Im Gleichtakt des Fluges

Aus tiefem Blau in weit fernere Bläue.“

 

Robert Gernhardt, 1937–2006, deutscher Schriftsteller, Comiczeichner und Maler

 

 

Wer einen Balkon oder eine Terrasse besitzt, muss keineswegs auf Gartenatmosphäre verzichten. Denn man braucht keinen großen Garten, um sogar Apfelbäume zu pflanzen. Die kommen zum Beispiel sehr gut in Töpfen zurecht, als Spalier oder Hochstamm. Die Töpfe müssen nur groß genug sein. Für Balkone und Dachterrassen eignen sich meiner Meinung nach Gefäße aus Polystone am besten. Die sehen gut aus und sind nicht zu schwer.

 


 

Der Vorteil eines begrünten Balkons ist übrigens, dass man die Luftqualität in der Wohnung deutlich verbessern kann.

 

 

„Glücklich und endlich

 

Nachts auf dem Balkon sitzend

Die Füße überm Geländer

Mit Zigarettenrauchen beschäftigt

Dem Klingeln der Straßenbahn

 

Und vor allem der Leuchtreklame

Das Reisebüro gegenüber –

So eingebettet in lauter Erfahrungen

Ganz unaufdringlicher Art

 

Aufgehoben zu sein

Ohne Mitte, ichlos, vorbei

Nur so dahinfließen

Ein Ding unter Dingen“

 

Dieter Leisegang, 1942–1973, deutscher Autor und Philosoph

 

 

Balkone und Terrassen kann man ganz ähnlich handhaben wie Gärten. Es müssen ja nicht nur Einjährige sein. Gräser eignen sich bestens für weiche Konturen und Beweglichkeit auch in luftiger Höhe. Zudem geben sie ein schönes Winterbild ab. Und natürlich dürfen Stauden nicht fehlen. Sie versorgen uns und die Insekten mit Blüten und bringen den Charme in unsere grüne Oase.

 

Holt euch den Garten auf den Balkon – das ganze Jahr!

 

Zum Schluss noch ein Text von Otto Jägersberg. Für die schönen Sommerwochen auf dem Balkon oder im Garten. Kurz und mit Witz. Ich mag seine Schreibart. Sie lässt uns so viel Raum zum Denken...

 

 

 

„Wohin mit dem gedicht

 

In die köpfe der jungen?

In die regale der alten?

 

In die tasche damit

Für ein beschwingtes gehen

 

Nicht das es den spazierstock ersetzte

Das nicht

 

Aber es ist ein gutes gefühl

Mit einem gedicht in der hosentasche

 

Man kanns rausziehen

Lesen

 

Man kanns drinlassen

Bewahren

 

Gut versorgt

Mit wort und weise in der tasche“

 

Otto Jägersberg, deutscher Schriftsteller und Filmemacher

 

 

Herzlichst

Margit Müller-Vorländer