Kolumne 42

„Das Meer, das entlang hellen Buchten tanzt“

 

„Das Meer, das entlang hellen Buchten tanzt...

 

La mer

Qu'on voit danser le Long des golfes clairs

A des reflets d‘argent

La mer

Des reflets changeants

Sous la pluie

 

Das Meer,

das entlang hellen Buchten tanzt,

silbern aufblitzend,

das Meer,

changierende Reflexe

im Regen“

 

Charles Trenet, 1913–2001, französischer Sänger und Schauspieler

 

In unserem Sommerurlaub in der Normandie konnten wir in diesem Jahr wieder die langen, schönen Strände genießen – und den weiten Blick aufs unendlich erscheinende Meer. Als wir da so rumstanden und rumgingen, tanzte uns dieses schöne Lied durch den Kopf: La Mer.

 

 

Wir waren an der Küste von Blainville-sur-Mer und konnten vom Strand aus den Gärtnern der Meere zuschauen. So werden sie nämlich romantisch genannt, die Arbeiter in Anglerlatzhosen und Ölzeug, die Austernfischer nämlich. Sie fahren bei Ebbe mit ihren schweren Traktoren zu ihren Austerntischen, um die darauf liegenden großen Säcke, zu rütteln und zu wenden oder einzuholen.

 

 

Austern sind eines der größten Kultivierungsprojekte von uns Menschen auf dieser Welt. Pro Jahr werden weltweit über 3 Millionen Tonnen geerntet. Austern sind kalorienarme Powerpakete mit einem besonders hohen Nährwert. Mein Mann ist beim Anblick von Austern vor Freude immer ganz aus dem Häuschen. 2019 hat er für den Saarländischen Rundfunk einen halbstündigen Film über die Austernbauern in der Normandie gedreht, wodurch er tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag von den Gärtnern der Meere bekam.

 

In unserem diesjährigen Urlaub standen Austern natürlich wieder in rauen Mengen auf unserer Speisekarte. Mir gefällt an diesen Meerestieren besonders die markante Schale. Dieser sagt man schmerzlindernde, entzündungshemmende und antirheumatische Kräfte nach. Hierfür wird die Mittellage der Austernschale verwendet. Die kalkige Masse zwischen der inneren und äußeren Schalenschicht, Calcium carbonicum, ist nämlich extrem reich an Mineralstoffen.

 

Besonders spannend finde ich, dass Austern als die Nieren der Wasserwege bezeichnet werden. Sie filtern die überschüssigen Nährstoffe, sowie Schadstoffe aus dem Wasser. Bezüglich unserer dramatischen Klimakrise sind Austern also sehr wichtig für die Qualität unserer Küstengewässer.

 

„Selbst wenn Sie nie die Gelegenheit haben, das Meer zu sehen oder zu berühren, berührt es Sie mit jedem Atemzug, den Sie tun, mit jedem Tropfen Wasser, den Sie trinken, mit jedem Bissen, den Sie zu sich nehmen. Jeder Mensch ist überall untrennbar mit dem Meer verbunden und hängt von dessen Existenz ab. Wenn Sie glauben, dass das Meer nicht wichtig ist, stellen Sie sich die Welt ohne es vor. Da fällt mir der Mars ein. Kein Meer, kein Lebenserhaltungssystem.“

 

Sylvia Earle, amerikanische Ozeanografin und Umweltaktivistin

 

 

Fährt man von der Küste ins Landesinnere blühen verschwenderisch mannshohe Hortensienberge. 600 Kilometer Küste und der milde Golfstrom sorgen für ein mildes Klima in der Normandie. Dazu ein fruchtbarer Boden und ausreichend Feuchtigkeit, ein fast mediterranes Klima, also alles, was Hortensien lieben. Bei dieser blühenden Üppigkeit geht einem das Herzl auf.

 

 

Wieder zuhause in Köln eingetroffen, konnten wir erfreut zur Kenntnis nehmen, dass in diesem Jahr auch in unserem Garten die Hortensien wie Berge aussehen. Das viele Wasser von oben hat eben auch sein Gutes.

 

 

„Der Friede in der Natur wird in dich fließen wie der Sonnenschein, der die Bäume nährt.“

 

John Muir, 1838–1914, schottisch-US-amerikanischer Naturphilosoph

 

 

Unser Mirabellenbaum ist dieses Jahr über und über voll mit leckersten Früchten. Burkhard hat es sich zum Ziel gesetzt, alle kleinen Goldkugeln zu pflücken und teilweise zu verarbeiten – zu Marmelade oder Kompott – oder sortiert nach Reifezustand zum sofortigen Verzehr. Lobend möchte ich an der Stelle vermerken: Er hat`s im Griff! Keine Frucht liegt zermatscht am Boden. Mit Elan und Herzblut gibt er sich der Sache hin. Das ist schon deshalb ideal, weil ich für so etwas keine Muße oder Leidenschaft besitze. Das Essen der kleinen Früchte hingegen ist ganz mein Ding.

 

 

Zumal das süße Allroundtalent Mirabelle richtig gesund ist und dazu noch kaum Fett und nur wenig Säure enthält – also auch für Menschen mit empfindlichen Magen eine Delikatesse. Die Inhaltsstoffe und Vitamine machen sie regelrecht zu einem Gesundheitsbooster unter anderem für Herz und Nerven.

 

Im Frühling trägt der Mirabellenbaum schöne weiße Blütenbüsche. Die Früchte erscheinen dann im Juli/August. Wir haben schon einen sehr alten Baum, und dennoch trägt er meistens reichlich. Auch in kleineren Gärten ist der Mirabellenbaum mit seinem kompakten Wuchs eine Augenweide. Schneiden tun wir ihn nahezu nicht. Und spritzen ist auch nicht nötig. Wer also nach einem wunderbaren Obstbaum für seinen Garten sucht: Das wäre einer.

 

 

„Liebe

 

Liebe ­– halten die Sterne

über den Küssen Wacht –

Meere, Eros der Ferne,

rauschen, es rauscht die Nacht,

steigt um Lager, um Lehne,

eh sich das Wort verlor

Anadyomene

ewig aus Muscheln vor.

 

Liebe ­– schluchzende Stunden,

Dränge der Ewigkeit

löschen ohne viel Wunden

ein paar Monde der Zeit,

Landen – schwärmender Glaube,

Arche und Ararat

sind dem Wasser zu Raube,

das keine Grenzen hat.

 

Liebe – du gibst die Worte

weiter, die dir gesagt,

Reigen – wie sind die Orte

von Verwehtem durchjagt,

Tausch – und die Stunden wandern,

die Flammen wenden sich,

ich sterbe für einen anderen

und du für mich.“

 

Gottfried Benn, 1886–1956, deutscher Dichter und Essayist

 

 

Herzlichst

Margit Müller-Vorländer