Kolumne 41

Juni - Sommertage, Lieblingsblumen und manchmal auch Regen…

 

„Der Sommertag

 

Wer macht die Welt?

Wer machte den Schwan und die Schwarzbärin?

Wer machte die Heuschrecke?

Diese Heuschrecke hier meine ich –

die sich selbst aus dem Gras katapultiert hat,

die jetzt Zucker aus meiner Hand frisst,

die ihre Kiefer vor- und zurückschiebt statt auf- und abwärts-,

die ringsumher starrt mit ihren riesigen, komplexen Augen.

Jetzt hebt sie die Vorderbeine und wäscht ihr Gesicht.

Jetzt klappt sie die Flügel auf und gleitet davon.

Ich weiß nicht genau, wie ein Gebet aussieht.

Ich weiß, wie man Aufmerksamkeit schenkt, wie man

ins Gras fällt, wie man sich ins Gras kniet,

wie man müßig und gesegnet ist, wie man durch die

Felder streunt,

denn das ist es, was ich den ganzen Tag machte.

Sag, was hätte ich sonst machen sollen?

Stirbt nicht alles am Ende und viel zu schnell?

Sag mir, was hast du vor

mit deinem wilden, kostbaren Leben?"

 

Mary Oliver, 1935–2019, amerikanische Dichterin

 

 

Unser wildes, kostbares Leben … mit Gefühl der Natur begegnen, ihr Aufmerksamkeit schenken und die Fähigkeit des Staunens nicht verlieren … eine tägliche Möglichkeit, sich reich zu beschenken.

 

 

In den Sommermonaten könnte man fast von einer Reizüberflutung sprechen, wenn man mit wachen Augen so durch die Natur und den eigenen Garten schlendert. Ich bin dann immer ganz hingerissen und berührt von all den schönen Blüten und Farben. Manchmal versuche ich, innerlich eine Rangliste meiner schönsten Lieblingspflanzen zu erstellen. Ein schwieriges Unterfangen, eine enge Auswahl zu treffen. Ein Versuch:

 

Ganz oben steht bei mir die Hemerocallis (Taglilie). Der botanische Name Hemerocallis leitet sich von hemera ab, was im Griechischen Tag heißt und von kallos, was übersetzt Schönheit heißt. Der Gartenphilosoph und Staudenzüchter Karl Foerster nannte sie „Blume des intelligenten Faulen“. Und ich begeistere mich an ihrer Einfachheit und Unkompliziertheit. Sie zeigt sich zeitig im Frühjahr mit ihrem zartgrünen, grasartigen Laub und entwickelt dann an langen dünnen Blütenstielen wunderschöne Blütenkelche. Sie toleriert Trockenheit und kommt auch mit viel Regen bestens zurecht. Manche duften sogar betörend. Wie zum Beispiel Hemerocallis citrina.

 

 

Bei der Hemerocallis American Revolution faszinieren mich die großen samtig schwarzroten Blüten mit ihrem grünlichen Schlund. Ein weiteres Highlight ist die Hemerocallis Gentle Shepherd. Ihre cremeweißen Blüten mit leicht gewelltem Rand erstrahlen in der Zeit von Juli bis August.

 


 

Und als letztes Portrait aus dieser Pflanzenfamilie darf die Hemerocallis Summer Wine nicht vergessen werden. Nicht nur der Name ist für mich Programm, sie leuchtet auch mit ihrem intensiven Weinrot wie ein Glas köstlichen Rotweins. Bienen und Schmetterlinge freuen sich ebenso über diese wertvolle Nahrungsquelle.

 

 

Ich sorgte mich

 

Ich sorgte mich um vieles. Wächst der Garten, fließen

die Flüsse in die richtige Richtung, dreht die Erde

sich, wie man sie lehrte, und wenn nicht, wie soll ich es korrigieren?

 

Hatte ich recht, lag ich falsch, wird man mir vergeben,

kann ich etwas besser machen?

 

Werde ich fähig sein zu singen? Selbst die Spatzen sind dazu

in der Lage, und ich, nun ja, bin hoffnungslos.

 

Schwindet mein Augenlicht oder bilde ich mir das nur ein,

bekomme ich Wundstarrkrampf, Rheuma oder Demenz?

 

Am Ende erkannte ich, dass Sorgen nichts bringen.

Und ich gab sie auf. Und nahm meinen alten Körper,

ging hinaus in den Morgen und sang."

 

Mary Oliver

 

 

Nepeta Walkers Low (Katzenminze) steht bei mir ebenfalls ganz oben. Ihr überschäumendes Wesen, ihre unermüdliche Blühfreude und ihr charakteristischer aromatischer Duft begleiten uns von Mai bis August. Ich mag sie gerne in der Kombi mit Achillea Credo (Schafgarbe) oder Lavandula (Lavendel) und Echinops ritro Blue Ball (Kugeldistel).

 

 

Verbena bonariensis (Eisenkraut) – diese Staude mag mein Mann besonders gern. Er nennt sie Dreigestirn. An nahezu unbeblätterten Trieben sitzen hoch oben kleine violette Blütenknöpfe. Damit erzielen sie eine phänomenale Wirkung. Nach Pflanzung lässt man ihnen am besten freien Lauf. Sie suchen sich ihre Orte gerne selber und stören an ihren erwählten Plätzen eigentlich fast nie.

 

Eine große Begeisterung hege ich auch für Gräser. Ein ganz besonders schönes ist das Diamantengras Achnatherum brachytrichon. Dieses Gras verdient seinen Namen zu recht. Seine rosasilbrigen Blütenstände funkeln nach Regen oder Tau im Sonnenschein wie ein bezaubernder Diamantenschleier. Sein frischgrünes Laub erscheint recht früh im Jahr und entwickelt sich über die Jahre dynamisch und kräftig.

 

Soweit meine minikleine Auswahl an schönsten Stauden und Gräsern. Bei den Gehölzen im Garten punkten bei mir immer Hortensien. Diese reinen Blühwunder und ihre unkomplizierte Art und Weise begleiten einen zuverlässig durch den ganzen Sommer. In sehr trockenen Sommer ist allerdings eine Wasserzufuhr von Zeit zu Zeit unumgänglich. Diesen Sommer müssen wir diesbezüglich – jedenfalls bisher – keinerlei Sorgen haben. Die Böden sind gut getränkt vom vielen Regen.

 

 

Außer den Bauern-, Teller- und Kletterhortensien, begeistert die Ballhortensie Annabelle mit ihrem breitbuschigen Wuchs und einem Meer an cremeweißen Blütenbällen von 15 bis 25 Zentimeter Durchmesser. Bei Regen platscht sie mit ihrer Blütenpracht kurzfristig auf den Boden, um sich dann aber wieder in ihrer ganzen Größe zu sammeln und aufzurichten.

 

 

Sommerabend

 

Die große Sonne ist versprüht,

der Sommerabend liegt im Fieber,

und seine heiße Wange glüht.

Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber ...«

und wieder dann: »Ich bin so müd …«

 

Die Büsche beten Litanein,

Glühwürmchen hangt, das regungslose,

dort wie ein ewiges Licht hinein,

und eine kleine weiße Rose

trägt einen roten Heiligenschein."

 

Rainer Maria Rilke, 1875–1926, österreichischer Lyriker

 

 

Der Sommer ist in meiner Rangliste unangefochten die schönste Jahreszeit. Das Licht, die Wärme, das viele Draußensein, und wenn‘s gut läuft nicht zu viel Regen und nicht zu viel Trockenheit. Also die schöne Mischung. Und dann genießen und sich verlieren im schönen Sommertag- und Abend.

 

 

Idas Sommerlied

 

Glaub nicht, von allein würd` es Sommer

In Garten und Wiese und Wald.

Den Sommer den muss jemand wecken,

dann blühen die Blumen schon bald.

Ich lasse die Blumen erblühen,

lass sprießen das Gras und den Klee.

Ja, nun kann der Sommer beginnen,

denn schmelzen ließ ich schon den Schnee.

 

Ich lasse das Wasser schnell strömen

und setze die Bäche in Gang,

lass Schwalben am Himmel jetzt fliegen

und Mücken, den Schwalben zum Fang.

Ich schenke den Bäumen die Blätter

Und setze die Nester hinein.

Ich lasse den Himmel erglühen

am Abend mit rosigem Schein.

 

Und Walderdbeer`n werde ich machen,

ich finde, die braucht jedes Kind,

und andere herrliche Sachen,

die passend für Kinder jetzt sind.

Ich mache so lustige Stellen,

grad richtig zum Spielen mit dir.

Da hüpf ich und renne und springe

und spüre den Sommer in mir."

 

Astrid Lindgren, 1907–2002, schwedische Schriftstellerin

 

Herzlichst Margit Müller-Vorländer

(und Henk...)