Kolumne 34

Spätsommergarten und Blätter wie Elefantenohren

 

„Die Welt bedacht auf platten Nutzen,

sucht auch die Seelen auszuputzen.

Das Sumpfentwässern, Wälderroden

schafft einwandfreien Ackerboden

und schon kann die Statistik prahlen,

mit beispiellosen Fortschrittszahlen,

doch langsam merkens auch die Deppen,

die Seelen schwinden und versteppen,

denn nirgends mehr soweit man sieht,

gibt es ein Seelenschutzgebiet.

Kein Wald drin Traumes Vöglein sitzen,

kein Bach drin Frohsinns Fischlein blitzen,

kein Busch im Schmerz sich zu verkriechen,

kein Blümlein Andacht rauszuriechen,

nichts als ein ödes Feld mit Leuten,

bestellt es restlos auszubeuten,

drum wollt ihr nicht zugrunde gehen,

laßt noch ein bißchen Wildnis stehen.“

 

Eugen Roth, deutscher Lyriker, 1895–1976

 

Seelenschutzgebiet … was für ein schöner Ausdruck!

 

Der September ist für mich ein Monat der Übertreibungen – vor allem nach so einem regenreichen Sommer, wie wir ihn dieses Jahr hier hatten. Die Stauden und Gräser sind an ihrem Wuchszenit angekommen.

 

 

Die hohen Gräser strecken sich lang ausgedehnt nach allen Seiten. Stauden wie die weiße Gaura lindheimeri (Prachtkerze) scheinen regelrecht zu explodieren. Bei Dunkelheit erscheinen sie wie tausend herumschwirrende, kleine, weiße Schmetterlinge. Die goldgelben Blütenhüte der Rudbeckia fulgida var. deamii strahlen seit Wochen unter dem Motto: es wird durchgeblüht. Und die wunderschöne Artemisia arborescens Powis Castle (Wermut/Edelraute) mit ihrem silbrigen, aromatisch duftenden Laub macht sich neben der spektakulären Blattkulisse des dunkellaubigen Eupatorium rugosum Chocolate (Wasserdost) besonders gut. Zu den schokoladenbraunen Blättern des Wasserdostes erscheinen im Spätsommer duftig weiße Blütenrispen.

 

 

Da wir eine große Fläche von Stauden und Gräsern zwischen Kiesflächen haben, wird es mir im September oft zu viel der Blüh- und Wuchsdynamik. Dann nehme ich die Blätter von einigen Staudenflächen runter und schneide sie knapp über dem Boden ab. Dazu gehören die Iris sibirica (Wieseniris). Ihr Blühauftritt war schon im Mai.

 

Vom hohen Veronicastrum virginicum Alba (virginianischer Ehrenpreis) nehme ich etwa die Hälfte aus dem Beet. Die schönen zahlreichen Blütenkerzen befinden sich auf hohen Stielen mit lanzettlich geformten und am Rand gezackten Blättern. Ein Highlight im Sommergarten. Nach der herrlichen Blüte legt sich der Ehrenpreis wohlig nach allen Seiten im Beet ab. Diese Entspanntheit ist mir jedoch manchmal zu quirlig und geht zu Lasten der unterliegenden Stauden. In direkter Anordnung wächst bei uns nämlich die Anthemis tinctoria E.C. Buxton (Färberkamille), und schon um deren Auftritt im September nicht zu schmälern, muss der hohe Ehrenpreis an manchen Stellen eben weichen.

 

 

„Das ist des Schicksals höchstes Schenken,

Des Lebens innerster Genuß,

Daß wir im reichen Überfluß

Nicht an den trüben Tag stets denken,

Da aller Glanz verdämmern muß.

 

Daß wir durch frohe Tage schreiten,

Wo heiß das Leben uns umloht,

Nur Blüten blicken, leuchtend rot

Und nicht die wetterdunklen Weiten

Voll Klage, Sorge, Not und Tod …“

 

Stefan Zweig, österreichischer Essayist und Lyriker, 1881–1942

 

Beim Blick in unseren Spätsommergarten fallen mir ein paar Stauden auf, die durchs ganze Jahr hindurch einen entspannten Gartengenuss bieten und die gärtnerische Entspanntheit fördern. Das heißt sie beindrucken durch ihre große Vitalität, ohne dass man etwas dazu tun muss.

 

 

Bergenia (Bergenie)

 

 

Ihre Blätter sehen wie kleine Elefantenohren aus, sind wintergrün und je nach Sorte verfärben sich die Blätter im Winter rötlich. Bergenien vertragen erstaunlich gut Trockenheit. Und selbst in sonnenlosen Großstadthinterhöfen zeigen sie sich prächtig und üppig. Ich mag sie am liebsten als „Wegbegleiter“ und an Ecken zur Einfassung eines Beetes. Sehr schön präsentieren sich ihre lederartigen Blätter in Kombination mit zarten, feinlaubigen Stauden oder Farnen. Die Sorten Bergenia Morgenröte (leuchtend rosa Blüten) und Bergenia Bressingham White (reinweiße Blüten) mag ich besonders gerne.

 

 

Sedum (Fette Henne)

 

 

Die Blätter des Sedums haben die wunderbare Eigenschaft, Wasser zu speichern. Damit sind sie für Trockenheiten sehr gut gewappnet. Sie mögen asketische Bodenverhältnisse und sehen mit ihren verwelkten Blütentellern selbst im Winter schön aus. Die Sorte Matrona begeistert mich sehr. Sie treibt mit dunklen Stielen aus und trägt schöne rosa Blütenstände. In der Kombi mit silberfarbigem Laub, z.B. der Edelraute Artemisia sind sie ein Knaller.

 

 

Euphorbia characcias (Wolfsmilch)

 

 

Sie ist ein Hingucker im April/Mai. Dann schiebt sie ihre imposanten gelbgrünen Blütentürme gen Himmel. Die graugrünen schmalen Blätter vollenden das Gesamtbild dieser – übrigens wintergrünen – Schönheit. Sehr schön in der Kombi mit Allium und Iris.

 

 

Und jetzt nochmal zurück zum Anfang, zu Eugen Roth und seinem wunderbaren Begriff Seelenschutzgebiet.

 

Das kann der eigene Garten, Balkon oder Vorgarten sein – so können viele ihr eigenes Seelenschutzgebiet gestalten. Am besten eben vor der eigenen Haustüre. Einfach anfangen, es wird durchgeblüht! Weil aber nicht jeder eine eigene Grünfläche besitzt, wertschätze ich sehr die immer stärker werdenden Entwicklungen im öffentlichen Raum, versiegelte Flächen zu öffnen und grün zu nutzen.

 

Schulhöfe in grüne Lebensorte umwandeln: Grün statt Asphalt!

Friedhöfe in Bestattungsgärten und -parks umgestalten.

Fassadenglück für Innenstädte.

Und das Verbot von Schottergärten. Sehr gut!

 

Herzlichst

Margit Müller-Vorländer

 

 

„Mein Gott, wie erfüllt das Leben ist, wenn man es auf die richtige Art angeht.“

 

Vita Sackville-West, britische Schriftstellerin und Gartengestalterin von Sissinghurst, 1892–1962

 

 

Auch wenn dieses Jahr weder Mirabellen noch Äpfel geraten wollten, so gibt es wenigstens eine kleine Weinernte …